Anschauungsunterricht in Sachen Recherche

Verbindungen sind und waren in der Vergangenheit oft Opfer tendenziöser Berichterstattung in Medien und insbesondere auf Plattformen politischer Agitatoren. Korrekte Sachverhalte werden mitunter in einer Art und Weise verknüpft, dass das exakte Gegenteil dessen suggeriert wird, was ist; Gegendarstellungen und Korrekturen werden selten veröffentlicht. Insofern liefert nun ein Artikel des „Antifa-Recherche-Teams Baden-Württemberg“ bei Indymedia Anschauungsunterricht in Sachen Recherche zum Thema Studentenverbindungen.

Anlass ist eine Podiumsdiskussion der Burschenschaft Alemannia Stuttgart, die diese in Vorbereitung der Bundestagswahl im Herbst diesen Jahres durchführt. Zu dieser sind alle im Bundestag vertreten Parteien eingeladen worden, bis auf die Linke haben Direktkandidaten ihr Kommen angekündet, darunter ein Ko-Bundesvorsitzender einer der Parteien. Doch bereits die Überschrift des Artikels lässt Ungutes erwarten:

Stuttgart: heitere Polit-Runde bei deutschnationaler Burschenschaft Alemannia

Zu Beginn wird korrekt festgestellt, dass Alemannia ihren Verband vor Kurzem verlassen hat. Doch bereits im nächsten Satz wird es heikel:

Davor war sie jahrzehntelang Mitglied in der DB gewesen, obwohl es hier immer einen extrem rechten Flügel gegeben hat, der mit der Zeit immer dominanter wurde.

Hier wird also suggeriert, dass die Alemannia lange Jahre „einen extrem rechten Flügel“ in der DB geduldet, wenn nicht sogar unterstützt habe. Unabhängig davon, dass ein extrem rechter Flügel bis heute jedenfalls von den Verfassungsschutzbehörden und anderen seriösen Einrichtungen nicht in der DB gesehen wird, wird unterschlagen, dass die Alemannia seit über zehn Jahren engagiert im Verband war und als einer der Vorreiter unter den sog. „liberalen“ Burschenschaften gilt. So stellt sie den Vorsitzenden der Interessengemeinschaften „Stuttgarter Initiative“ und „Initiative Burschenschaftliche Zukunft“.

Es folgte eine allgemeine Situationsbeschreibung, die so bei Indymedia und anderen schon öfter zu lesen war:

Die Gründe für den Exodus von Einzelbünden aus der DB sind sehr unterschiedlicher Natur. Es geht nicht nur um Inhalte, sondern auch um Geld und Ansehen. Die Mitgliedschaft in einer DB-Burschenschaft kann nach den offengelegten Skandalen derzeit eher der Karriere hinderlich als förderlich sein. Einige mitgliederstarke Burschenschaften fanden es auch ungerecht hohe Mitgliedsbeiträge an den Dachverband zu entrichten und trotzdem, ebenso wie sehr viel kleinere Bünde, nur über eine Stimme im Verband zu verfügen. Die Akzeptanz und der zunehmende Einfluss von Kellernazis und kaum verdeckten Neonazis wurde vielen mehrheitlich rechtskonservativen Bünden zuviel. Trotzdem sind die ausgetretenen Burschenschaften keinesfalls unproblematisch in ihrer politischen Ausrichtung. Sie sind nationalkonservative und elitäre Männerbünde, die durchaus auch Mitglieder akzeptieren, die sich in der extremen Rechten betätigen.

Darauf folgt eine Anschuldigung:

 So auch die Burschenschaft Alemannia.

Es soll damit als ausgedrückt werden, dass die Burschenschaft Alemannia Mitglieder akzeptiere, die sich in der extrem Rechten betätigen. Diese heftige Anschuldigung wird aber nicht konkretisiert, sie bleibt unbewiesen im Raum stehen.

Dass am 7. Mai ein „Burschenschaftlicher Abend“ mit den Bundestags-Kandidaten Cem Özdemir (Grüne), Dr. Stefan Kaufmann (CDU), Dr. Matthias Werwigk (FDP) und Nicolas Schäfstoß (SPD) unter der Moderation eines Dr. Florian Bitzer angedacht ist, ist da nur ein scheinbarer Widerspruch.

Auch die nationalkonservativen Ex-DB-Burschenschaften versuchen Einfluss in der Mitte der Gesellschaft zu gewinnen. Dafür muss nach einer anhaltend kritischen Berichterstattung über Burschenschaften Akzeptanz zurückgewonnen werden. Das geht am Besten mit Veranstaltungen wie dieser Podiumsdiskussion. Alle Teilnehmer machen sich damit freiwillig zum Alibi der Burschenschaft. Außerdem verschaffen sie einer elitären Männerbastion, die per se Frauen und häufig auch „Nicht-Deutsche“ – was auch immer das sein soll – von der Mitgliedschaft ausschließt, Renomee.

Es wird also – neben typischen Topoi der „Verbindungskritik“ – über die Motivation der Alemannen spekuliert, mit Hilfe der Podiumsdiskussion „Renomee“ zu erlangen und Akzeptanz zurückzugewinnen. Da ist wahrscheinlich etwas dran, aber die Grundaufgabe aller Burschenschaften, mit Vorträgen und Diskussionen politisch zu bilden, wird unter den Tisch fallengelassen.

Im folgenden Absatz wird es konkreter:

Die Burschenschaft Alemannia zu Stuttgart hat nicht nur erst 2012 die DB verlassen. Unter ihren Angehörigen befinden sich auch mindestens zwei Mitglieder der „Konservativen Aktion Stuttgart“ (KAS), einer jungkonservativen Kampftruppe, die auch schon FDP-Veranstaltungen aus nationalistischen Motiven störte. Seit einiger Zeit hat sich die KAS optisch und inhaltlich der neofaschistischen Bewegung der Identitären angeschlossen. Zwischen den Identitären Stuttgart und der KAS werden starke Überschneidungen vermutet.

Insbesondere willkürlich verwendete Attribute und Beschreibungen wie „Kampftruppe“, „nationalistische Motive“,, „neofaschistisch“ machen klar, dass hier mit negativ konnotierten Begriffen ein „stimmiges“ Gesamtbild erzeugt werden soll. Wie der „optische und inhaltliche“ „Anschluss“ der KAS an die Identitären sich konkret ausgestaltet, bleibt im unklaren. Da erübrigt sich schon, zu erwähnen, dass hier nur von Vermutungen die Rede ist (siehe letzter Satz). Interessant wird es auch im nächsten Abschnitt:

Bei den Identitären in Stuttgart dürfte auch Markus Willinger, Jahrgang 1992, aktiv sein. Dieser stammt aus Österreich, war offenbar Angehöriger des österreichischen Bundesheeres und studiert in Stuttgart Politikwissenschaft und Geschichte. Er ist Autor des Buches mit dem programmatischen Titel „Die identitäre Generation. Eine Kriegserklärung an die 68er“ (Buchkritik: http://www.publikative.org/2013/02/24/eine-bibel-fur-die-sekte-der-ident…), was erst im Selbstverlag (Book on Demands) erschien und neuerdings vom britischen Arktos-Verlag publiziert wird. Zum Autor wird auf der Arktos-Homepage angegeben, er sei: „seit seinem 15. Lebensjahr […] für die neue Rechte politisch aktiv […].“

Wir sind thematisch also nun bei einem Buchautor angekommen. Die Verbindung zur Alemannia ist abenteuerlich:

  1. Mindestens zwei Alemannen seien bei der „Konservativen Aktion Stuttgart“ Mitglied.
  2. Letztere hat sich „optisch und inhaltlich“ den „Identitären“ angeschlossen.
  3. „Zwischen den Identitären Stuttgart und der KAS werden starke Überschneidungen vermutet.“
  4. „Bei den Identitären in Stuttgart dürfte auch Markus Willinger, Jahrgang 1992, aktiv sein.“

Weitere Kommentare erübrigen sich an dieser Stelle. Es folgt eine Aufzählung von sechs „rechtslastigen Veranstaltungen“ bei der Alemannia. Folgende Punkte lassen wiederum aufhorchen:

  • Am 29. April 2010 lud die Stuttgarter Burschenschaft Alemannia zum „Burschenschaftlichen Abend“ zum Thema „Bedrohung unserer Freiheit durch den Islam? Aussagen im Koran zur Rechtsstellung der Frau und zur Gewalt“. Referent war Reinhard Wenner aus St. Augustin. Der Jurist und Theologe ist Vorstandsmitglied in der MenschenRECHTSorganisation „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ (IGFM).

Die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ ist uns bisher unbekannt, eine Google-Recherche lässt jedoch keine negativen Punkte auffinden. Es scheint wohl die grundsätzliche Thematik des Vortrags zu sein, die hier verdächtig macht. Warum die Autoren im Begriff Menschenrechtsorganisation die Buchstaben „RECHTS“ groß schreiben, ist vielleicht einem seltsamen Verständnis von Humor geschuldet. Wir können uns keine andere Erklärung dafür machen.

Als nächstes wird ein Vortrag eines Herren Wolfgang Philipp angeführt. Dieser hat jedoch nie einen Vortrag bei der Alemannia gehalten. Das belegt zum einen die Referentenliste der Burschenschaft als auch das gedruckte Semesterprogramm des betreffenden Semesters, das uns vorliegt.

Auch der letzte Punkt in der Aufzählung sorgt für Fragezeichen:

  • Am 14. November 2012 fand bei der Burschenschaft Alemannia Stuttgart ein Burschenschaftlichen Abend zum Thema „Die konservative Revolution 1918-33“ statt, der vom „Bundesbruder Lutz“ gehalten wurde. Mutmaßlich wurden hier nicht die Inhalte der antidemokratischen „Konservativen Revolution“ kritisiert.

Der Vortrag über das historische Thema der „konservativen Revolution 1918-33“ enthielt also „mutmaßlich“ keine Kritik an der Inhalt derselben. Kein weiterer Kommentar.

Der Schluss:

Und jetzt werden etablierte Politiker durch ihren Auftritt das Ansehen dieser Burschenschaft aufpolieren. Doch die braunen Flecken sind beim näherem Hinschauen unübersehbar.

Unübersehbar sind eher die vielen handwerklich-journalistischen Fehler, die sich die Autoren in diesem Artikel erlaubt haben. Neben einer kruden Verknüpfung der Burschenschaft mit einem uns unbekannten Buchautor wird eine Liste von verdächtigen Vorträgen angeführt, die bei genauem Hinsehen eher das Gegenteil dessen vermuten lässt, was suggeriert werden soll: Nach der Referentenliste der Burschenschaft zu urteilen findet sich hier eher ein politisch diversifiziertes Programm neben vielen technisch-naturwissenschaftlichen Themen. Vielleicht sind aber die 95% absolut unverdächtigen Vorträge der letzten Jahre aber nur „Feigenblätter“, die die „deutschnationale Burschenschaft“ zur Verdeckung ihrer gefährlichen Tätigkeiten vorschiebt?

Es folgt im Artikel noch ein Exkurs, denn nicht nur die Burschenschaft Alemannia ist Thema, sondern auch die Burschenschaft Ghibellinia. Hier nimmt man Anstoß an einer „Gründungsveranstaltung Hochschulgruppe“. Der Artikel schließt mit

Sollte sich jenseits vom CDU-Hochschulableger RCDS eine unabhängige korporierte Hochschulgruppe gründen, dann sollte das von unabhängiger Seite beobachtet und kritisch begleitet werden.

Auch wir werden das „Antifa-Recherche-Team Baden-Württemberg“ weiterhin beobachten und kritisch begleiten.

linksunten.indymedia.org/de/node/84041

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